Ich war kürzlich am Konzert von Sam Garrett, ein Mix aus spirituellen Songs und Reggae.
Hier ein Lied youtube.
Die Stimmung unter dem Publikum passt zum Konzert. Teilweise fühlt es sich an wie Baden in einem grossen Chor.
Hinter uns gibt es Menschen, die scheinbar alle Texte kennen und besonders engagiert mitsingen. Irgendwann realisiere ich, dass sich diese laufend mit Bier versorgen. Als die Stimmung der Lieder bedächtiger wird, scheinen sie dies zu verpassen. Es wird störend. Menschen vor uns schauen sich nach den Störenfrieden um. Andere geben ein «schschsch» von sich. Es bleibt störend. Schade.
Was macht das mit mir? Ich fühle mich auch gestört. Wie kann ich damit umgehen? Die Störungen einfach auszublenden, gelingt mir nur bedingt. Sollte ich intervenieren und damit auch anderen Gestörten einen Gefallen tun? Wenn ja, wie könnte ich das? Mit einem (bösen) Blick vielleicht? Sollte ich sie möglichst nett darum beten, sich ruhiger zu verhalten. Meine Ideen fühlen sich wenig «gewaltfrei» an? Alles hat das Potential, dass sich die Betroffenen auf eine Art blossgestellt oder erniedrigt fühlen. Mit so einer Aktion würde ich mein eigenes Bedürfnis auf Achtsamkeit und Würde übergehen. Also forsche ich weiter.
Was könnte das Bedürfnis dieser Menschen sein? Wie könnte ich ihnen etwas «schenken»? Wie könnte ich ihnen in einer verbindenden Haltung begegnen? Ich schaue mich um, um klarer zu werden, welcher Mensch die Störungen massgeblich nährt. In mir wächst der Wunsch, diesem «pöbelnden» Menschen liebevoll zu begegnen. Beim letzten Lied sind um uns einige Gruppen, die sich mit den Armen über die Schultern verschränken. Ich wünsche mir, diese Energie aufnehmen zu können. Die Idee wird präsenter und stärker, auf den Menschen zuzugehen und mich (physisch) zu verbinden und ihn irgendwie auf die schöne ruhige Energie aufmerksam zu machen.
Irgendwann fass ich mir (m) ein Herz, mache den kleinen physischen und den grossen emotionalen Schritt und lege ihm meinen Arm über die Schultern. Er merkt es zunächst nicht, weil er immer noch schwatzend auf die andere Seite orientiert ist. Dann wendet er sich mir zu und schaut mich an. Es passiert äusserlich nichts, innerlich möglicherweise viel. Ich habe viele Fragezeichen, was jetzt wohl kommt.
Ich sage: «hörst du’s?» und deute auf die Bühne. Er sagt, «ich komme erst grad bei dir an.» Er wird ruhig, hört zu. Die anderen Plauderer*innen verstummen ebenfalls. Ich entspanne mich und frage mich gleichzeitig, wie das jetzt weiter geht. So bin ich jetzt für einige Minuten, die Arme über die Schultern eines Angetrunkenen inmitten herzoffener Menschen. Die Musik wird nochmals etwas belebter. Wir singen zusammen mit. Das letzte Lied endet. Ich frage mich, was jetzt? Er sagt: «Danke, das war schön». Wir umarmen uns.
Ich bin berührt, was entstehen durfte, nachdem ich gut auf mein Herz hörte und dem Wunsch folgte, mit diesem Menschen die Verbindung zu suchen. Das gelang in der Verbindung mit meiner eigenen und mit seiner Würde.
Dank meiner aktuellen Ausbildung in gewaltfreier Kommunikation und Dank der Energiequalität, die das Konzert und Sam Garrett mit seinen Wünschen nach Frieden und Liebe versprühte, konnte ich den Mut für einen Schritt wagen, den ich mir in keiner Weise vorgestellt hatte.
Dieser Mensch und mein Schritt haben mein Leben bereichert und ein bisschen zum Guten verändert. Dafür bin ich sehr dankbar.